Berater im polnischen Ministerium für Digital Affair
Die polnische Verwaltung hat im Jahr 2016 festgestellt, dass die EU-Kredite für Infrastrukturprojekte besser ausgeschöpft werden könnten und setzt dies nun um. Dadurch steigen die Anforderungen, die an Projekte gestellt werden. In nur wenigen Monaten hat das Ministerium für Digital Affairs unter Leitung von Anna Strezynska mehrere neue Schlüsselprojekte identifiziert und sechs davon als Projektantrag vor den Ministerrat gebracht. Prof. Dr. Bogdan Lent von sieber&partners unterstützt die Ministerin für Digital Affairs dabei als Projekt- und Risikoberater. Eine bereichernde Erfahrung, die ihm für zukünftige Projekte neue Sichtweisen lehrt.
Polens E-Government ist weit entwickelt
Bogdan ist fasziniert von der hohen fachlichen Kompetenz der Polen und ihrem Engagement: «Eine neue Generation ist am Hebel der Macht. Sie ist offen, den Blick nach vorne gerichtet, will verändern und ist nicht verhangen mit Altlasten aus der Vergangenheit. Die Digitalisierung ist in vollem Gang. Bereits sind Pass, ID, Umzugs- und Hochzeitsformalitäten online verfügbar. Und sogar noch mehr: Heute werden ID und Führerausweis bzw. Fahrzeugausweis auf dem Handy gespeichert und bei einer Kontrolle dem Polizisten rechtsgültig gezeigt».
Fachlich auf Top-Niveau
Die meisten digitalen Projekte sind fachlich auf sehr hohem Niveau. Zwar hat die von den polnischen Behörden gewählte Methodik Prince2 einige Schwächen, z.B. die Interaktion mit der Umwelt oder der Einbezug der Benutzer in den Betrieb. Aber durch eine Verdichtung der Anforderungen können diese überwunden werden. In den von Bogdan durchleuchteten Projekten werden die Schritte und Phasen korrekt umgesetzt. Schwachstellen ortet er vorwiegend bei den Timelines, weil die ambitiösen Vorgaben der EU eingehalten werden müssen: EU-Projekte sind auf drei Jahre limitiert und rechnen bei Überschreitungen mit massiven Investitionskürzungen durch die EU. Mit seinen 40 Millionen Einwohnern ist Polen ein grosses Land und entsprechend sind die Dimensionen der Projekte viel grösser als z.B. in der Schweiz. Daher sind sowohl die Einführung wie auch die Fehlerkorrektur komplexer und benötigen entsprechend mehr Zeit. Von den sechs analysierten Projekten mussten nur zwei bezüglich Struktur und Timelines überarbeitet werden.
Der menschliche Faktor ist zentral
Polen hat den Vorteil, dass das Land zentralistisch organisiert ist. Es darf aber trotzdem nicht alles zentral top-down umgesetzt werden. Der menschliche Faktor muss einbezogen werden. Deswegen hat Bogdan das Prinzip des TOE (Technology – Organization – Environment) um den Faktor «Mensch» zum TOHE erweitert. Er erklärt dies an folgendem Beispiel: «Stellen Sie sich vor, die 18 Regionen Polens sollen eine neue Infrastruktur einführen. Der verantwortliche Departementsvorsteher hat vorgeschlagen, die Abgeordneten ins zentrale Ministerium in Warschau einzuladen und die neue Infrastruktur top-down einzuführen. Ich habe ihm vorgeschlagen, besser in die 18 Regionen zu reisen und die neue Anwendung direkt vor Ort zu bringen und so die Betroffenen miteinzubeziehen. Es handelt sich hier um einen Bewusstmachungssprozess bei den Behörden. Das hat zu tun mit der Vergangenheit, als das zentrale Regime verhasst war und «zentral» mit «unbeliebt» gleichgesetzt wurde. Deswegen ist es wichtig, dass die Projekte demokratisch umgesetzt und die Menschen in den Regionen abgeholt werden. Auch in Ländern mit einer langen demokratischen Struktur wie der Schweiz wird das manchmal zum Thema. Polen steht da nicht alleine.
Von der Gruppen- zur Einzelverantwortung
Das Projekt- und Risikomanagement besteht hauptsächlich aus einer Bewusstseinsveränderung bei den Behörden. Bis anhin sind sich die Beamten gewohnt, in Gruppen zu entscheiden. Diese auf bis zu zehn Köpfe verteilte Verantwortung reduziert jedoch das Verantwortungsgefühl. Bogdan hat deswegen vorgeschlagen, den Projektausschuss vorerst von zehn auf drei Mitglieder zu reduzieren: Eine Person vertritt die Nutzer und dies möglichst auf fachlicher und nicht ministerialer Ebene. Eine weitere Person vertritt den Hauptlieferanten des Systems und eine Person vertritt das Ministerium bzw. den Auftraggeber. Diese neue Aufstellung gilt, nachdem die Architektur herausgelöst wurde aus der Projektaufsicht und einen separaten Architekturausschuss bildet. Diese Organisation wird seit Anfang 2017 so umgesetzt. Das Resultat wird erst in zwei bis drei Jahren sichtbar sein und ist nur eine Etappe auf dem Weg zur Einzelverantwortung, d.h. dem Auftraggeber, bestehend aus einer einzigen namentlich designierten Person und einem nur beratenden Projektausschuss – so wie das in der Schweiz bei Hermes-Projekten umgesetzt wird. Damit dies möglich ist, braucht es eine staatliche strategische Prüforganisation, welche klare Vorgaben macht, wie ein Projekt organisiert und geführt sein muss. Dies unterstützt die Projektleiter, damit sie auch bei einem Regierungswechsel abgesichert sind, weil sie sich an die geltenden Vorgaben gehalten hat. Das ist Voraussetzung, damit sowohl der Auftraggeber wie auch der Projektleiter bereit sind, als Einzelperson Verantwortung zu übernehmen.
Bewusstseinsprozess dank Perspektivenwechsel
Bogdan hat die Aufgabe im Herbst 2016 als Projekt- und Risikoberater übernommen. Und er hat bereits Erkenntnisse gewonnen: «Die durch die Landesgrösse bedingte umfangreiche Dimension des Projekts macht, dass ich spontane Aussagen und schnelle Entscheide versuche zu vermeiden. Ich wäge viel mehr ab. Obwohl ich nicht direkt Verantwortung trage, fühle ich mich als externer Begutachter stärker belastet, denn die Wirkung meiner Denkmodelle hat einen grossen Einfluss. Und meine Beratung soll schliesslich etwas Positives bewirken und nicht ein Leerlauf sein.»
Die Projekte sollen zwar in drei Jahren realisiert werden, die Einführung danach wird aber mindestens weitere drei bis zehn Jahre in Anspruch nehmen. Durch die viel grösseren Dimensionen als in der Schweiz müssen viel mehr Elemente berücksichtigt werden. «Mir bringt das für zukünftige Schweizer Projekte etwas mehr Distanz und Ausgewogenheit. Zusätzlich kommt hinzu, dass ich bei diesem Projekt aufgrund des fehlenden finanziellen Rückflusses viel freier bin. Ich kann mir die Freiheit herausnehmen, die Projektziele bezüglich Ethik, Nützlichkeit und Nachhaltigkeit zu bewerten und so meinen Blickwinkel zu öffnen. Das gibt mir Mut, vermehrt out-of-the-box zu denken. Im Ganzen gesehen hält mich das geistig fit, Neues zu sehen und neue Perspektiven zu entdecken. Eine Erfahrung, die mich in Zukunft positiv beeinflussen wird!»