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Branche im Wandel der Digitalisierung

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Branche im Wandel der Digitalisierung

Eva Gerber

Ist die digitale Transformation bereits in der Bau- und Immobilienbranche angekommen? Und welche Veränderungen rollen auf sie zu?

Fachpersonen müssen bereit sein, alte Prozesse komplett neu zu denken. Das ist der grosse Gewinn, der digitale Transformation bringen kann.

An der 3. Fachtagung haben wir uns der Frage «Technologie oder Mensch — was macht die erfolgreiche digitale Transformation aus?» gewidmet. Obschon Digitalstrategien erarbeitet, Prozesse digitalisiert und automatisiert, neue Applikationen eingekauft und neue Schnittstellen eingerichtet werden, bleibt der Erfolg meister Transformationsprojekte aber aus. Folglich konnten am 3. Juli 2023 Expert:innen der Bau- und Immobilienbranche im Kongresshaus Zürich darüber diskutieren, ob Transformationsprojekte aufgrund von fälschlichem Technologieeinsatz oder aufgrund des Umgangs mit Menschen missglücken. Aber was macht Transformationsprojekte erfolgreich und worauf kommt es an? Solche und weitere spannende Fragen durften wir nicht nur den Teilnehmer:innen, sondern auch unserem Keynote Speaker, Dr. Bernhard Eicher, Director der Wüest Partner Group, stellen.

Wüest Partner setzt sich für neue Perspektiven und nachhaltige Wertschöpfung in der Immobilienwirtschaft ein: Sie beabsichtigen die Verbindung von digitaler und menschlicher Intelligenz. Das Unternehmen setzt sich einerseits vermehrt mit künstlicher Intelligenz oder Machine Learning auseinander. Andererseits ist sich Eicher sicher, dass es die menschliche Expertise braucht, um plausibilisieren und die Modelle verstehen und vor allem auch weiterentwickeln zu können. Aufgrund dessen hat er sich dazu entschieden, als Keynote Speaker aufzutreten – auch, weil die Fragestellung «Technologie oder Mensch» das Unternehmen stark beschäftigt.

Eicher erzählt, dass der klassische Bewertungsprozess von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum früher erfahrungsbasiert war. Heute erfolgt die Bewertung anhand des hedonischen Modells – also datenbasiert. Das bedeutet, dass die beiden Prozesse zwar ähnlich sind, aber anhand des hedonischen Modells grössere Datenmengen verarbeitet und mehrere hundert Faktoren berücksichtigt werden können. Mittels des hedonischen Modells ist es also möglich, dasselbe wie das menschliche Gehirn zu leisten – nur, dass diese Leistung die Leistung des menschlichen Gehirns übertrifft. Letztlich braucht es aber noch immer den Menschen, welcher die Modellergebnisse plausibilisiert. Ein weiteres Beispiel der Kombination von digitaler und menschlicher Intelligenz ist die Berechnung von CO2-Absenkpfaden für ganze Immobilienportfolios. Mit verhältnismässig wenig Inputdaten, kombiniert mit künstlicher Intelligenz, können sowohl der aktuelle Absenkpfad als auch Szenarien modelliert werden. Allerdings braucht es am Schluss auch hier den Menschen. Die Priorisierung von Investitionen und auch die Verantwortung für die gefällten Entscheidungen liegen nach wie vor in menschlicher Hand.

Wüest Partner setzt sich für nachhaltige Perspektiven in der Immobilienwirtschaft ein – welche Nachhaltigkeitsziele werden verfolgt?

«Nachhaltigkeit definieren wir anhand des folgenden Dreiklangs: ökologisch, wirtschaftlich und sozial. Alle Elemente dieses Dreiklangs spielen eine wichtige Rolle. Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit (beispielsweise die Lifecycle-Thematik) ist wohl am längsten und stärksten in der Branche verankert. Die ökologische Nachhaltigkeit (z.B. CO2-Einsparungen) ist aber auch von Bedeutung, da die Branche einen wesentlichen Teil der CO2-Emmissionen ausmacht. Als drittes Element kommt die soziale Komponente zum Tragen – sie spielt bei den ESG-Ratings* (ESG = Environment, Social, Governance) eine grosse Rolle. Die soziale Nachhaltigkeit hat zudem das grösste Entwicklungspotenzial. Daher versuchen wir – gemeinsam mit Branchenpartner:innen – zu überlegen, welche Faktoren relevant sein können, die im sozialen Bereich einzahlen. Und wie wir diese Faktoren sowohl empirisch überprüfen als auch messbar machen und operationalisieren können.»

*Geben Auskunft darüber, wie nachhaltig ein Unternehmen oder Produkt ist. Lässt man beispielsweise ein Gebäude überprüfen, kann die Prüfung anhand der Kriterien des ESG-Ratings erfolgen: Entspricht das Gebäude diesen Kriterien? Unter den Kriterien sind auch ethische sowie soziale Werte vertreten. 

Wie schätzen Sie die Wichtigkeit der digitalen Transformation in der Bau- und Immobilienbranche ein?

«Die digitale Transformation ist sehr wichtig. Prozesse müssen neu gedacht werden. Währenddessen muss ich berücksichtigen, welche Daten und Modelle ich zur Verfügung habe. Nur so erlange ich eine neue Denkweise. Wenn wir die digitale Transformation künftig auf diese Weise interpretieren, wird sich nicht nur die Branche, sondern auch wie wir arbeiten, stark verändern.»

Sie haben von einer starken Veränderung gesprochen. Was denken Sie – wie wird sich die Branche in Zukunft wandeln? Was wird sich verändern?

«Ich denke, dass sich die Entscheidfindung verändern wird: «Kaufe ich ein Objekt oder nicht?», «Wie entwickle ich ein Areal?» und «Was saniere ich?». Bei solchen Fragen werden datengestützte Entscheidungen eine wichtigere Rolle spielen als heute. Die Speicherung und Ablage von Daten werden auch Veränderungen erfahren (Stichwort: BIM). Wenn ich die Zukunftsgedanken noch weiterspinnen lasse, denke ich auch in Richtung Non Fungible Tokens (NFTs): Der Einbezug von NFTs würde uns ermöglichen, das Grundbuch abzubilden sowie alle Transaktionen, die darauf stattgefunden haben. Die ganze Historie einer Liegenschaft könnte ebenfalls darauf abgebildet werden. Das könnten die Handänderungen (Kauf und Verkauf von Liegenschaften) revolutionieren – Vertrauenspersonen wie Notar:innen erhielten in diesem Prozess eine völlig neue Rolle. Solch ein Zukunftsdenken wird aber erst zur Realität, wenn es neuen Prozessen gelingt, massive Vorteile gegenüber alten Prozessen hervorzubringen. Neue Prozesse werden sich also mittel- bis langfristig durchsetzen, wenn die Vorteile überwiegen.»

Würden Sie sagen, dass die digitale Transformation in Ihrer Branche bereits angekommen ist?

«Die digitale Transformation hat angefangen. Ich denke aber, dass die Institutionellen (Pensionskasse, Versicherungen, Anlagestiftungen, Banken usw.) den grössten Fortschritt in Sachen Bewertung, Portfoliosicht etc. verbuchen können. Bei den privaten Immobilienbesitzer:innen ist die digitale Transformation wenig fortgeschritten. Wenn ich aber daran denke, was alles noch kommen könnte, z.B. im Bereich künstliche Intelligenz oder Blockchain-Technologie, könnte einiges an Veränderung auf uns zu rollen. Bei den Privaten ist das Thema Convenience womöglich entscheidend: Wenn ich Eigenheimbesitzer:in bin, möchte ich schnell Entscheidungen treffen und Daten schnell sowie verständlich aufbereitet zur Verfügung haben können.»

Wo sehen Sie für Ihre Branche die grössten Herausforderungen der digitalen Transformation?

«Hauptschwierigkeit ist, dass bestehende Prozesse ausschliesslich digital abgebildet werden. Ohne zu berücksichtigen, dass verfügbare Daten aggregiert genutzt werden können.»

Und wo sehen Sie die grössten Vorteile?

«Ich denke, dass man mithilfe der digitalen Transformation bessere Entscheidungsgrundlagen bekommt, die auf empirischer Evidenz basieren. Mittels digitaler Transformation können wir eine grössere Menge an Informationen berücksichtigen. Ich kann prozedurale Verbesserungen erzielen und Kosten einsparen. Und wenn ich an Private denke, dann sehe ich Vorteile in Sachen Convenience.»

Gilt für Sie der Mensch oder die Technologie als wichtigster Erfolgsfaktor in Digitalisierungsprojekten?

«Ich bin der Überzeugung, dass es beides braucht. In Zukunft können wir noch mehr mit Daten, Modellen und Technologien machen sowie abdecken. Am Schluss braucht es aber den Menschen, der plausibilisiert und die Verantwortung übernimmt, einen Entscheid zu fällen. Ausserdem müssen Menschen Vorteile richtig transportieren können – an die Menschen, die sowohl neue Prozesse als auch Systeme nutzen. Ich denke nicht, dass die digitale Transformation ohne den Menschen gelingt. Es braucht beides. Die Befähigung von Menschen ist für mich persönlich ein wichtiger Teil.»

Was können Fachpersonen aus Ihrer Branche tun, damit eine erfolgreiche, digitale Transformation stattfindet?

«Fachpersonen müssen sich bewusst sein, dass es folgende drei Komponenten braucht: Technologisches Know-how, Branchen-Know-how und Menschen, welche die Vorteile von Transformationsprojekten transportieren können. Und sie müssen bereit sein, alte Prozesse komplett neu zu denken. Das ist der grosse Gewinn, der digitale Transformation bringen kann.»

Abschliessend gibt Eicher an, die 3. Fachtagung als äusserst positiv wahrgenommen zu haben. Er erzählt von einem stark interaktiven Anlass und spannenden Workshops. Aus Sicht der Bau- und Immobilienbranche sei «Technologie oder Mensch» ein topaktuelles Thema, welches die Branche noch lange beschäftigen wird. Gerne gibt Eicher Fachpersonen aus seiner Branche folgende drei Ratschläge mit auf den Weg:

  1. Die digitale Transformation ist frühzeitig und proaktiv anzugehen.

  2. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden – Es gibt in der Branche bereits viele gute Lösungen, die Fragen der digitalen Transformation beantworten. Man kann auch Bestehendes nutzen.

  3. Es lohnt sich immer, mehrere Anbieter:innen und Angebote anzuschauen.