BIM — Ready or not?
Eva Gerber
Ist die Schweizer Bau- und Immobilienbranche BIM-ready? Und was kann die Schweizer Branche von den Branchen im Ausland lernen?
Seit 2018 arbeitet Peter Schneider bei DPR Construction (www.dpr.com) in Amsterdam. Seither durfte er eine Vielzahl an Europäischen Rechenzentren in Sachen Planung und Bau begleiten. Seit ungefähr 2.5 Jahren begleitet er ein grosses biopharmazeutisches Projekt im Schweizer Wallis. Vor seiner Zeit bei DPR Construction war er 10 Jahre lang bei Schweizer Generalunternehmern und Baumanagementbüros beschäftigt. Am 9. Juli 2024, genauer gesagt an der 4. Fachtagung «Digitale Transformation in der Bau- & Immobilienbranche», war der sympathische Integration Manager nicht nur als Gast, sondern auch als Podiums-Speaker anzutreffen. Im Interview mit sieber&partners erzählt er nun, weshalb es ihn auf die Bühne gezogen hat, für wie BIM-ready er die Schweizer Bau- und Immobilienbranche hält und was sie von Branchen im Ausland lernen kann.
Aus welchen Gründen haben Sie an der Podiumsdiskussion an der 4. Fachtagung «Digitale Transformation in der Bau- & Immobilienbranche» teilgenommen?
Ich fand den Ansatz des Events sehr interessant. Das Event oder eher das Thema des Events war übergeordnet – es ging nicht nur um Technik und/oder BIM, sondern um Digitalisierung! Die 4. Fachtagung konnte thematisieren, inwiefern eine ganze Wirtschaft für Digitalisierung und BIM bereit ist oder nicht. Erhält man dann die Einladung, an einem solchen Event als Podiums-Speaker teilzunehmen, sagt man ungerne nein. Übrigens bin ich durch EBP zur 4. Fachtagung gekommen. Ich kenne Claus Maier von früher – die Welt ist in dieser Branche klein.
Sie arbeiten für ein internationales Unternehmen: Welche Rolle nimmt DPR Construction (Amsterdam) in Sachen BIM-Readiness ein?
Vielleicht muss ich zu Beginn erwähnen, dass das Thema BIM bei DPR Construction per se gesetzt ist. Dies liegt aber nicht unbedingt an uns als Firma, sondern hat mit dem Markt zu tun, in dem wir uns bewegen. Bei diesem Markt handelt es sich um Rechenzentren und Pharma. In solchen Nischen gehört die Anwendung von BIM zum Alltag.
Als ich von meiner vorherigen Stelle zu DPR Construction gewechselt bin, war das Thema BIM bereits gesetzt und in den Verträgen verankert, und es wurde von den Unternehmer:innen und Planer:innen eingefordert. Bei DPR Construction sind alle Involvierten BIM-ready. Als ich neu war, erlebte ich aufgrund dessen eine ziemlich steile Lernkurve. In dieser Branche oder besser gesagt in diesem Umfeld sind die Unternehmer:innen und Planer:innen sehr weit und gut. Und bei DPR Construction fordern wir BIM stark ein und regeln den Einsatz von BIM vertraglich.
An der Podiumsdiskussion haben Sie davon gesprochen, dass es in Sachen BIM-Readiness Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Wie fortschrittlich ist die Schweizer Branche?
In Sachen Fortschritt würde ich zwischen den Märkten unterscheiden. In der Schweiz sind die grossen Cash-Cows nicht fortschrittlich – also das betrifft vor allem den Büro- und Wohnungsbau. In diesen beiden Märkten ist meines Erachtens der Mehrwert in der BIM-Nutzung geringer – aber dennoch vorhanden. Sagen wir es so: man kann das „Teil“ auch ohne BIM bauen. Die Schweiz ist am fortschrittlichsten, wenn es um Infrastrukturbau geht – also vor allem in Sachen Tunnelbau. Ich habe zwar keinen direkten Kontakt damit, aber das, was ich gesehen habe, war echt stark. In der Schweiz wickelt die grosse Masse aber eher konventionell ab und nicht nach BIM. Weiterhin werden BIM-Modelle nach SIA Phase 4* nicht intensiv verwendet.
*Die SIA Phase 4 gehört zu den SIA 102 Phasen und handelt von den Ausschreibungen der Bauleistungen. Das bedeutet, dass Angebote von verschiedenen Bauunternehmen eingeholt und verglichen werden.
Würden Sie die Vorgehensweise der Schweiz als vorsichtig beschreiben?
Wie ihr Nachbar Deutschland ist die Schweiz schon eher vorsichtig. Einer der Gründe dafür ist, dass gewisse Regelwerke und Normen in der Schweiz existieren. Seit jeher werden diese Regelwerke und Normen strikt eingehalten. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Regelwerke, Normen und Leitfäden vom SIA (Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein) oder anderen Institutionen. Bis sich solche Regularien ändern, vergeht auch Zeit. Als Baufirma wartet man also ab, bis erste Institutionen initiativ werden und einen Leitfaden rausbringen. Das ist sicher einer der Gründe, warum ein Land wie die Schweiz BIM erst in der Tiefe ausdiskutieren muss, bevor es zur Anwendung kommt. Ausserdem gilt es zu beachten, dass die Schweizer Bauprozesse (und wie sie geregelt sind) sehr gut funktionieren. In der Schweiz werden die Vorgaben des SIA konsequent eingehalten. Diese Projekte laufen auch automatisch gut.
Wie schätzen Sie die Wichtigkeit von BIM als Methode und Werkzeug ein?
Sehr wichtig. Ich sehe BIM als Grundvoraussetzung für die Abwicklung von komplexen Projekten an. Vom Büro- und Wohnungsbau spreche ich nicht unbedingt, sondern eher von den komplexen Teilen des Bauwesens. Bei komplexen Bauvorhaben handelt es sich um Projekte, in denen viel Haustechnik verbaut wird, also Elektro- sowie HLK-Elemente, Rohrleitungen und auch grössere Infrastrukturbauten, die für die Energieversorgung umgesetzt werden. Bei solchen Vorhaben wird es kompliziert. Also da schliesse ich auch Krankenhäuser und Unternehmen mit ein, die mit Pharma zu tun haben.
Für wie BIM-ready halten Sie die Schweizer Bau- und Immobilienbranche?
Die Branche ist momentan nicht BIM-ready. Weil insbesondere die ausführenden Unternehmen noch nicht im Stande sind, gewisse Leistungen mittels BIM-Methode abzuwickeln.
Dazu möchte ich auch noch sagen, dass die planenden Firmen relativ weit sind. Zuerst sind Ingenieur:innen zu nennen, und dann Architekt:innen – wobei die Thematik der Parametrik im BIM zu viel Gewicht hat und viel pragmatischer betrachtet werden sollte. Die planenden Parteien sind relativ erfahren, auch im internationalen Vergleich. Wenn es aber um die Ausführung geht, merkt man, dass ein Bruch passiert und die Daten nicht durchgängig benutzt werden können. Das heisst, dass gewisse Daten, welche in Form eines BIM-Modells erfasst werden, oftmals nicht effizient von der Planungsphase in die Ausführungsphase weitergegeben werden.
Was macht die Schweiz in Sachen BIM-Readiness besser? Was das Ausland?
Wenn ich mir anschaue, welche Firmen und Spinoffs in der Schweiz gegründet werden, ist die Qualität der Dienstleistungen wie gehabt hoch. Die Schweizer Bauwirtschaft ist momentan ein grosser Kuchen, dieser ernährt Firmen, die auch im Ausland tätig sein können. Die Abwicklung von grossen und komplexen Projekten in der jungen Vergangenheit hat hier einen starken Erfahrungspool generiert.
Das Ausland – wenn man z.B. englischsprachige Länder nimmt – ist pragmatischer und risikobereit. Damit reichert das Ausland – oder spezifisch solche Länder – viel Erfahrung an. Die Ir:innen sind mit ausführenden Unternehmen im Ausland tätig und sammeln so viel Erfahrung. Dies liegt nicht nur an der Natur der Menschen, sondern auch an der wirtschaftlichen Notwendigkeit, im Ausland Projekte zu gewinnen zu müssen.
Worin könnte sich die Schweiz noch etwas bereichern oder inspirieren lassen?
Die Frage ist ein wenig tricky – schliesslich kennt man die Schweizer Kultur und wie die Dinge laufen. Persönlich denke ich, dass man den Erfolg eines Landes daran messen kann, wie gut es eine Vielzahl an Projekten abwickeln kann. Bedenken sollte man aber auch, dass die Schweiz keine riesige Bauwirtschaft besitzt – relativ schon, absolut nicht. In der Schweiz sind viele KMU aktiv, also kann man auch nicht erwarten, dass diese KMU mit grossen Konzernen im Ausland mithalten können. Sie können keine Bauprojekte für Ölplattformen in Kanada abwickeln.
Es muss meines Erachtens mehr Austausch stattfinden – das würde die Schweizer Branche bereichern. Denn die Schweiz hat Hochschulen, die digitales Bauen und den Umgang mit BIM als Studiengang anbieten. Es wäre also schade, wenn Student:innen nicht sehen können, wie solche Projekte in Realität und im Ausland abgewickelt werden. An der FHNW wird dies seit Jahren schon im Austausch mit dem CIFE der Stanford Universität getan. Die Dozent:innen versuchen damit, diesen Erfahrungsschatz in die Schweiz zu bringen. Der Versuch ist auf jeden Fall da. Aber vielleicht könnte der Austausch prinzipiell vertieft werden. Es ist schwierig zu beantworten, in welchen Aspekten die Schweiz nachziehen soll. Es hängt auch immer mit dem Markt zusammen. Die Qualität des Baus ist in der Schweiz bereits hoch, und das sollte man anerkennen. Die Frage ist mehr: Wie schnell und gut kann man die Baukultur verändern?
Wo sehen Sie für Ihre Branche die grössten Herausforderungen (in Bezug auf BIM-Readiness)?
BIM ist sehr softwaregetrieben. In jedem Projekt wird BIM mehr oder weniger neu erfunden. Oft werden wir mit nicht-reifen Produkten konfrontiert, welche durch die jeweiligen Investor:innen in den Markt gedrückt werden. Gewöhnt man sich an ein neues Software-Produkt, wird schon ein neues lanciert. Der Softwaremarkt ist getrieben von Ventures und Investor:innen – Produkte werden stillgelegt und miteinander verschmolzen. Die tatsächliche Nutzbarkeit ist damit nicht im Vordergrund. Das sind die Herausforderungen, die ich sehe.
Wo sehen Sie für Ihre Branche die grössten Vorteile (in Bezug auf BIM)?
Die Branche ist unter Druck und hat nicht genügend Ressourcen – sowohl in Deutschland als auch in anderen Nachbarländern befinden wir uns in einer Rezession. In der Schweiz ist das nicht so. Die Nutzung von BIM führt zu mehr Produktivität – punkt. Hiermit meine ich Produktivität im klassischen Sinne: Mit BIM kann eine Person die Arbeit von zwei Personen machen. Das ändert jedoch nichts an der Produktivität des Gipsers, der Gipserin oder an der Trocknungszeit des Unterlagsbodens. Die angesprochene Rezession kann dazu führen, dass man das Geschäft überdenkt und sich neu erfindet – unter der Betrachtung von BIM gestützten Prozessen.
Was wird Ihrer Meinung nach benötigt, um die Branche BIM-ready zu machen?
In meinen Augen braucht es Zeit. Ein Generationenwechsel ist notwendig: Nicht nur in Hinblick auf die technologische Affinität der Personen, sondern auch in Hinblick auf die alteingesessenen Institutionen. In zehn Jahren kann ich mir vorstellen, dass BIM die absolute Normalität darstellen wird. Und ich glaube, dass es schwierig ist, diesen Generationenwechsel zu pushen – es ist wichtig, dass die Personen, die Projekte mit BIM abwickeln, auch etwas vom Bauen verstehen. Es ist eine Herausforderung, junge Leute dahin zu bewegen, diese Branche zu betreten und zu verändern. Also denke ich, dass es schwierig ist, BIM-Readiness zu forcieren.
Welchen Rat würden Sie Fachpersonen aus Ihrer Branche gerne mit auf den Weg geben?
Das hört sich vielleicht ein bisschen blöd an, aber ich würde Fachpersonen empfehlen, BIM-Modelle selbst zu erstellen. Wenn ein:e Planer:in noch nie ein BIM-Modell erstellt hat, sollte er oder sie nicht davon reden:
Selbst zu modellieren hilft, um ein Verständnis zu generieren und BIM besser zu verstehen. Damit ist es einerseits möglich, das Raumverständnis zu verbessern. Manche Personen müssen das anlernen bzw. sich antrainieren. Der zweite Punkt ist – ein BIM-Modell zu erstellen ist besser als jede 2D-Zeichnung. Und der dritte Punkt ist, zu sehen, wie die Daten erfasst werden. Das muss man alles tun, um überhaupt verstehen zu können, was es braucht. Die Personen, welche bereits selbst ein BIM-Modell modelliert haben, sind gemäss meiner Erfahrung auch diejenigen, die es am besten verstehen. Denn Leute, die nur darüber reden, haben wir genug.
Wie haben Sie die Teilnahme an der 4. Fachtagung erlebt?
Die Podiumsdiskussion wurde von den Kollegen sehr gut geführt. Es war eine sehr informelle Unterhaltung, genau das hat mir gefallen. An was ich mich besonders erinnere und was mir gut gefallen hat, war der Workshop von sieber&partners über ihren selbstgebauten Building Agent. Zum ersten Mal hatte ich einen groben Einblick darüber, wie eine AI so tickt. Die Workshopleiter Pascal Gomringer und Fabio Keller haben sehr eindrücklich gezeigt, wie die AI logische Schritte macht, wenn Fragen gestellt werden. Also ich würde sagen, dass es sich lohnt, einen Workshop an der Fachtagung zu besuchen – die Moderation war einfach super.
Und was ist Ihre Take-Home-Message? Etwas, was Sie abschliessend noch sagen möchten?
Abschliessend möchte ich sagen, dass man in der Schweiz die Notwendigkeit erkennen sollte, dass die ausführenden Unternehmen in Sachen BIM fit werden müssen. Ich denke, dass ein gewisses Risiko besteht, dass in grossen internationalen Projekten Schweizer Firmen nicht involviert sein werden, weil sie diese Notwendigkeit nicht verstehen, oder vielleicht nicht den Druck verspüren. Natürlich geht es auch um Ressourcenknappheit: Wenn die Schweizer Unternehmen hinsichtlich Ausführung nachziehen könnten, wären sie in der Lage, sich ein ziemlich grosses Stück vom Kuchen abzuschneiden.